Patente als „öffentliches Gut“?
Ein Beitrag von Prof. Dr. Jan Busche und WissMit Lars Wasnick
Die COVID-19-Pandemie hat in der öffentlichen Diskussion erneut den Ruf nach staatlicher Inanspruchnahme von Patenten laut werden lassen. Prof. Dr. Jan Busche und Lars Wasnick betrachten, unter welchen Voraussetzungen staatliche Eingriffe in bestehenden Patentschutz möglich sind.
Patente werden für innovative Leistungen auf allen Gebieten der Technik erteilt (§ 1 Abs. 1 PatG / Art. 52 Abs. 1 EPÜ / Art. 27 Abs. 1 TRIPs). Als Erfindungen potenziell schutzfähig sind damit auch Arzneimittel und Impfstoffe. Die Verfügbarkeit solcher für die medizinische Versorgung der Bevölkerung notwendiger Güter rückt insbesondere in Krisenzeiten in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses. Dies zeigt sich nicht nur derzeit unter dem Eindruck der COVID 19-Pandemie, sondern auch in anderen Zusammenhängen. Erinnert sei nur an Mangellagen bei der Versorgung mit AIDS-Medikamenten, insbesondere in Ländern der Dritten Welt und Schwellenländern. Dabei offenbart sich ein Spannungsverhältnis zwischen dem geistigen Eigentum der Patentinhaber und dem öffentlichen Interesse an einer möglichst umfassenden und kostengünstigen medizinischen Versorgung. Die COVID 19-Pandemie hat daher in der öffentlichen Diskussion erneut den Ruf nach staatlicher Inanspruchnahme von Patenten laut werden lassen.
An dieser Stelle soll daher betrachtet werden, unter welchen Voraussetzungen staatliche Eingriffe in bestehenden Patentschutz möglich sind. Immerhin handelt es sich bei Patenten um absolute Rechte, die unter dem grundrechtlichen Schutz von Art. 14 GG und Art. 17 GrCh stehen, sodass Eingriffe in diese Rechtspositionen einer besonderen Rechtfertigung bedürfen.
Ausgangspunkt der nachfolgenden Überlegungen sind zunächst die de lege lata vorhandenen rechtlichen Instrumentarien, also die in den nationalen Rechtsordnungen verankerten Zwangslizenzen zu Gunsten privater Rechtssubjekte (zB § 24 PatG) und sonstige staatliche Eingriffsrechte, die bis zur Enteignung von Patenten gehen können (zB § 13 PatG). Das von der Welthandelsorganisation (WTO) administrierte Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPs) sieht in Art. 31 ausdrücklich vor, dass die Vertragsstaaten unter bestimmten Voraussetzungen eine „sonstige Benutzung des Gegenstands eines Patents“ auch ohne die Zustimmung des Rechtsinhabers erlauben können. Die USA, andere WTO-Mitgliedsländer und Nichtregierungsorganisationen plädieren zudem für eine zeitlich befristete Aussetzung von Impfstoff-Patenten. Denkbar sind zudem Restriktionen, die sich für die Patentinhaber aus der Anwendung des kartellrechtlichen Marktmachtmissbrauchsverbots (§§ 18, 19 GWB, Art. 102 AEUV) ergeben, soweit nämlich Patente deren Inhabern zugleich eine wirtschaftlich relevante Machtstellung vermitteln.
Es stellt sich die zudem Frage, ob der skizzierte Interessenkonflikt mit den de lege lata zur Verfügung stehenden Instrumentarien hinreichend bewältigt werden kann oder ob es Bedarf für zusätzliche normative Regelungen gibt.
Eine andere Frage ist, inwieweit einschlägiges Know-how zur Herstellung von Impfstoffen bereits vor Patenterteilung geschützt ist bzw. Gegenstand von Zugriffsrechten Dritter sein kann. Das soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden (vgl. dazu Hauck, GRUR-Prax. 2021, 333).
Das Patentrecht regelt die einzelnen Voraussetzungen, unter denen für innovative Leistungen auf dem Gebiet der Technik Patente erteilt werden können. Durch die Patenterteilung erhält der Patentinhaber ein absolutes Recht, welches nur ihn dazu befugt, die patentierte Erfindung zu benutzen (§ 9 PatG). Jedem Dritten ist daher die Herstellung, Nutzung, Vermarktung und Anwendung des Patents grundsätzlich untersagt (§ 9 Nr. 1-3 PatG), sofern er dazu nicht durch eine Lizenzvereinbarung oder auf andere Weise gesetzlich legitimiert ist. Hierdurch erhält der Patentinhaber eine patentrechtliche, aber nicht notwendig eine wirtschaftliche Monopolstellung am jeweiligen Markt, die es ihm ermöglicht, gegenüber konkurrierenden Unternehmen eine Vorteilsstellung zu erlangen, aufgrund derer diese von der Nutzung der patentierten Erfindung ausgeschlossen sind.
Der seinem Wesen nach nicht auf Fremdnützigkeit abgelegte Patentschutz führt schließlich auch zu einem Spannungsverhältnis zu dem Interesse der Allgemeinheit, auf bestimmte patentierte Erfindungen Zugriff zu nehmen, das sich insbesondere in (medizinischen) Notlagen zeigt. Dieser Interessenskonflikt besteht im Übrigen nicht nur im Bereich des Patentrechts, sondern zeigt sich auf dem gesamten Gebiet der Immaterialgüterrechte, wenngleich es dort regelmäßig nicht um existenzielle Notlagen wie im Bereich des Gesundheitsschutzes geht. Soweit nun die Diskussion geführt wird, ob und inwieweit Dritten, also Konkurrenten des Patentinhabers oder dem Staat, Zugriff auf patentierte Erfindungen zu gewähren ist, muss im Ausgangspunkt stets bedacht werden, dass der Gesetzgeber mit der Zuerkennung von Schutzrechten eine Wertentscheidung zugunsten individueller Ausschließlichkeitsrechte getroffen hat. Dahinter steht die (mehr oder minder begründete) Vorstellung, dass Sonderschutzrechte (als „Monopolrechte“) auch in einer auf dem Wettbewerbsgedanken basierenden Wirtschaftsordnung ihre Berechtigung haben können, wenn sie nämlich dazu beitragen, den Wettbewerb anzuregen und auf diese Weise innovationsfördernd zu wirken. Für den Patentschutz bedeutet dies: Derjenige, der Investitionen zur (Weiter-) Entwicklung technischen Fortschritts tätigt, kann hierfür mit einem Patent belohnt werden. Es entsteht somit ein Investitionsmarkt für technische Erfindungen und zeitgleich auch ein Wettlauf für den Zuschlag des Ausschließlichkeitsrechts. Nach Angaben des Düsseldorfer Ökonomen Justus Haucap gab es etwa einen Wettlauf zwischen 120 Unternehmen, die versucht haben, einen COVID 19-Impfstoff zu entwickeln. Mit der in Aussicht stehenden Belohnung durch das Ausschließlichkeitsrecht wird nicht nur der Anreiz gesetzt, getätigte Investitionen mittels des Patents zu amortisieren, sondern darüber hinaus profitiert auch die Allgemeinheit von diesem „Wettrennen der Patenterteilung“, da Patente und das dahinterstehende technische Wissen im Wege der Patentanmeldung öffentlich zugänglich gemacht werden. Das führt systemimmanent nicht nur zu einer Wissensverbreitung durch das Patentrecht selbst, sondern eröffnet stets aufs Neue die Möglichkeit zu weiterführenden Forschungsansätzen, wodurch sich der Stand der Technik selbst stetig aktualisiert.
Doch nicht alles erscheint in der Praxis so austariert, wie es die Theorie vorsieht. Patente werden zuweilen auch (nur) aus strategischen Gründen angemeldet, sei es um einen Marktzutritt von Konkurrenten (vorläufig) zu blockieren, sei es aus verfahrenstaktischen Gründen. Dies schürt den Verdacht, dass dem Patentwesen ein hohes Missbrauchspotenzial innewohnt, wie der Sachverhalt der so genannten Patenttrolle zeigt. Durch derartige Auswüchse, die schnell in den Mittelpunkt des Interesses rücken, wird zugleich die Legitimität des Patentschutzes in Frage gestellt. Das zeigt sich insbesondere dann, wenn die Interessen der Allgemeinheit aufgrund von Versorgungsengpässen und pandemischen Lagen derart zu überwiegen scheinen, dass die Investitionsbelohnung und Anreizfunktion nicht ausreichend erscheinen, um eine Patenterteilung auf Impfstoffe zu rechtfertigen.
Ausgehend von der grundsätzlichen Anerkennung des Patentschutzes und in dem Bewusstsein, dass jede Patenterteilung zugleich auch die Zuerkennung eines Ausschließlichkeitsrechts beinhaltet, sehen verschiedene Regelungen sowohl auf inter- als auch auf nationaler Ebene wiederum Ausnahmen von diesem Grundsatz vor. Mögliche Konfliktlösungen können im deutschen Recht durch die §§ 13 und 24 PatG erreicht werden.
Zu unterscheiden ist hierbei die Eingriffsrichtung der Normen. Bei § 13 PatG handelt es sich um eine Norm, die der Bundesregierung die Möglichkeit eröffnet, die Wirkung des Patents zu beschränken bzw. auszusetzen. Während es sich dabei um einen unmittelbaren staatlichen Eingriff von außerhalb des Marktes handelt, regelt § 24 PatG die Möglichkeit der patentrechtlichen Zwangslizenz, die von jedem Lizenzsucher im Einzelfall vor dem Patentgericht erstritten werden kann, mithin also um einen „Eingriff“ aus dem Markt selbst.
1. § 13 PatG
Im Kern besteht die Regelung zur staatlichen Benutzungsanordnung bereits seit Inkrafttreten des Patentgesetzes 1877. Sie regelt in ihrer heutigen Fassung, dass die Wirkung eines Patents auf Anordnung der Bundesregierung im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt nicht eintritt. Erste Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit der noch andauernden Corona-Pandemie bekam § 13 PatG mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (EpidemieSchG) vom 27. März 2020. Mit dem EpidemieSchG wurde wiederum § 5 Abs. 2 Nr. 5 Infektionsschutzgesetzes (IfSG) dahingehend geändert, dass das Bundesgesundheitsministerium im Rahmen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, die vom Deutschen Bundestag festgestellt wird (§ 5 Abs. 1 IfSG), ermächtigt wurde, eine Benutzungsanordnung im Sinne des § 13 Abs. 1 PatG zu treffen.
Der Begriff der öffentlichen Wohlfahrt unterscheidet sich von dem des öffentlichen Interesses, wie er beispielsweise in § 24 PatG gebraucht wird, und ist nach überwiegender Auffassung grundsätzlich enger zu verstehen. Schutzziele, die unter den Begriff der öffentlichen Wohlfahrt fallen, sind unter anderem der Gesundheitsschutz der Bevölkerung, zum Beispiel durch Bekämpfung von Seuchen, oder auch die Abwendung von Umweltschäden und erheblichen Beeinträchtigungen der Energie- und Wasserversorgung (Busse/Keukenschrijver/Keukenschrijver § 13 PatG Rn. 8; Benkard/Scharen § 13 PatG Rn. 4). Kurzgefasst umfasst § 13 PatG Notstandsfälle, in denen eine staatliche Fürsorge notwendig erscheint oder sich gar aufdrängt. Mithin kann auch eine pandemische Lage, ausgelöst durch das COVID 19-Virus, ein staatliches Handeln im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt erfordern.
Der Gesetzgeber deutet dies an, wenn es in der Begründung zur erwähnten Änderung des Infektionsschutzgesetzes heißt, die Einschränkung eines Patents nach § 13 PatG komme in Betracht, um im Krisenfall lebenswichtige Wirkstoffe oder Arzneimittel herstellen zu können (BT-Drs. 19/18111, S. 21). Allerdings steht ein derartiger Eingriff in das Recht des Patentinhabers stets unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit. Sollte das verfolgte Ziel auf andere Weise erreicht werden können, fehlt es an der entsprechenden Notwendigkeit der Benutzungsanordnung. Das wäre etwa der Fall, wenn der Patentinhaber selbst lizenzbereit oder in der Lage ist, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Im Übrigen wird der Patentschutz durch die Benutzungsanordnung nicht per se aufgehoben. Vielmehr wird lediglich die unlizenzierte Benutzung im Umfang der Anordnung legitimiert. Zugleich entsteht ein Anspruch des Patentinhabers gegen den Staat auf angemessene Vergütung. Dieser Vergütungsanspruch richtet sich ausschließlich gegen den Staat und nicht gegen Dritte, die im Rahmen der Benutzungsanordnung gegebenenfalls von der patentierten Erfindung Gebrauch machen.
Wichtig bei der Debatte um eine mögliche Anwendung des § 13 PatG ist es auch, den Ausnahmecharakter der Bestimmung zu erkennen. Praktische Anwendungsfälle sind seit 1945 nicht bekannt geworden. Die heutige Bedeutung ist eher psychologischer Natur. Als ultima ratio-Norm soll § 13 PatG dem Patentinhaber die ständige staatliche Eingriffsmöglichkeit vergegenwärtigen. Die Vorschrift schwebt so mit ihrer Signalwirkung über dem Patentrecht. Fraglich ist allerdings, welcher Druck über eine Norm erzeugt werden kann, die über längere Zeit keine praktische Wirksamkeit erlangt hat, wenngleich es in der Vergangenheit immer wieder Fälle gab, bei denen eine Anwendung denkbar gewesen wäre, zB zum Schutz vor Milzbrandangriffen (dazu Lenz/Kieser NJW 2002, 401 (402)) oder im Rahmen der Herstellung von HIV-Medikamenten.
2. § 24 PatG
Parallel zu § 13 PatG regelt § 24 PatG mit der sogenannten patentrechtlichen Zwangslizenz einen weiteren Fall der Einhegung des Patentschutzes. Sie kann von jedem Lizenzsucher (Dritten) erstritten werden, der unter den gegebenen Voraussetzungen im Einzelfall die geschützte Erfindung für eigene Rechnung gewerblich benutzen möchte. Bei der Erteilung, die an ein öffentliches Interesse gebunden ist (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 PatG), kommen sowohl wirtschaftspolitische als auch soziale Gründe wie beispielsweise die Bekämpfung von Krankheiten in Betracht. Neben der Absicht der gewerblichen Nutzung muss der Lizenzsucher tatsächlich (auch technisch) hierzu in der Lage sein.
Mit § 24 PatG verhält es sich ähnlich wie mit § 13 PatG. Lange Zeit thronte er über dem Patentrecht, ohne dass es konkrete Anwendungsfälle gab. Doch seit 2016 hat § 24 PatG, anders als § 13 PatG, seinen Weg in die Praxis gefunden, sieht man von der Rechtssache Polyferon ab (BPatG GRUR 1994, 98, aufgehoben durch BGHZ 131, 247 = GRUR 1996, 190). Aufmerksamkeit bekam die Norm durch die Entscheidung Raltegravir/Isentress des BGH (GRUR 2017, 1017), bei der es um die Verfügbarkeit eines bestimmten Arzneistoffes aus der Gruppe der Integrase-Inhibitoren, die zur Behandlung einer HIV-Infektion eingesetzt werden, ging. Da es sich um eine einzelfallabhängige Zwangslizenz zugunsten eines Lizenzsuchers handelte, kam es zunächst auf dessen Lizenzbemühen kann. Dieses Erfordernis, deutlich bekannter aus den kartellrechtlichen FRAND-Verfahren, verlangt mehr als eine bloße Bereitschaft zur Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr, indem der Lizenzsucher diese Bereitschaft über einen bestimmten Zeitraum und mit einer gewissen Ernsthaftigkeit verfolgen muss. Welche Handlungen im Konkreten erforderlich sind und wie der relevante Zeitraum zu bestimmen ist, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Mit Blick auf die überschaubare Entscheidungspraxis lässt sich jedoch festhalten, dass sowohl das Bundespatentgericht als auch der Bundesgerichtshof einen dynamischen Maßstab für die Frage nach einem ausreichenden Lizenzbemühen verfolgen. So reicht das Angebot eines sehr niedrigen Lizenzsatzes in einem dreiwöchigen Zeitraum vor Erhebung der Zwangslizenzklage beispielsweise nicht aus (BGH GRUR 2019, 1038 Rn. 20 f. – Alirocumab).
Für die Frage einer möglichen patentrechtlichen Zwangslizenz ist jedoch nicht nur das Erfordernis des Lizenzersuchens maßgeblich, sondern vielmehr auch das von § 24 PatG geforderte öffentliche Interesse. Dieses muss die Erteilung einer Zwangslizenz gebieten, § 24 Abs. 1 Nr. 2 PatG. Insoweit gehen die deutschen Erteilungsvoraussetzungen über den durch Art. 31 TRIPs-Übereinkommen gewährleisteten Mindeststandard hinaus. Obwohl es sich bei der patentrechtlichen Zwangslizenz um ein Rechtsinstitut zugunsten einer einzelnen Partei, des Lizenzsuchers, handelt, kann dieser mithin ausschließlich Interessen der Allgemeinheit geltend machen. Der Lizenzsucher tritt gewissermaßen als Anwalt des öffentlichen Interesses auf. Gegenstand eins derartigen öffentlichen Interesses kann auch der Schutz vor einer gesundheitsgefährdenden Pandemie sein. Fällt der Gesundheitsschutz bereits unter die enger formulierte Vorschrift des § 13 PatG, so muss dies erst recht für § 24 PatG gelten. Vergleichbare Fälle eines Medikamentenengpasses, selbstverständlich jedoch nicht in einem solchem Pandemieausmaß, sind durch die bereits angesprochenen Entscheidungen bezüglich des HIV-Medikaments Raltegravir in der Rechtsprechung anerkannt und daher kein vollständiges Neuland. Insofern zeigt sich, dass auch § 24 PatG für eine Zwangslizenz an Impfstoffen ein mögliches Instrument ist.
3. Art. 31 TRIPs
Das unter dem Dach der Welthandelsorganisation (WTO) geschlossene TRIPs-Übereinkommen verwendet den Begriff der Zwangslizenz lediglich in Art. 37 Abs. 2 für den Bereich topographischer Layout-Designs. Ohne sie namentlich zu benennen, sieht Art 31 TRIPs, auf den im Übrigen Art. 37 Abs. 2 TRIPs verweist, jedoch die Möglichkeit vor, sonstige Benutzungen eines Patents ohne Zustimmung des Rechtsinhabers über eine Zwangslizenzierung zuzulassen. Das TRIPs-Übereinkommen legt insoweit für seine Vertragsstaaten den Mindeststandard für eine mögliche nationale Zwangslizenzierung fest. Dabei nennt Art. 31 TRIPs zwar Regelbeispiele wie den nationalen Notstand (lit. b)) oder abhängige Patente (lit. l)). Den einzelnen Mitgliedsstaaten steht es jedoch frei, die konkreten Erteilungsvoraussetzungen unter Beachtung des TRIPs-konformen Mindeststandards zu bestimmen (Busche/Stoll/Wiebe/Höhne Art. 31 TRIPs Rn. 5, 21). Hauptvoraussetzung ist ähnlich wie in § 24 PatG das erfolglose Lizenzersuchen unter Abgabe eines angemessenen Lizenzangebots. Darauf kann jedoch in nationalen Notlagen oder bei öffentlicher, nicht gewerblicher Benutzung verzichtet werden (Art. 31 lit. b) S. 2 TRIPs). Mit dem Merkmal der Notlagen werden insoweit auch die Fälle des Pandemieschutzes erfasst, die nach deutschem Recht unter §§ 13, 24 PatG fallen. Die generell sehr eng gefasste Bestimmung, wonach die zwangslizenzierte Benutzung der patentierten Erfindung „vorwiegend für die Versorgung des Binnenmarktes“ des entsprechenden TRIPs-Mitglieds erfolgen muss (Art. 31 lit. f. TRIPs), hat sich gerade für den Arzneimittelsektor als hinderlich erwiesen, zumal dadurch die Versorgung von Entwicklungsländern, die über keine eigenen Produktionskapazitäten verfügen, behindert wird. Auf Grundlage der „Doha-Erklärung“ zum TRIPs-Übereinkommen vom 30.08.2003 wurde daher eine Regelung etabliert, die Herstellung und Ausfuhr von Arzneimitteln von den Exportbeschränkungen des Art. 31 lit. f) TRIPs ausnimmt (Art. 31bis Abs. 1 TRIPs). Mit dieser 2017 in Kraft getretenen Bestimmung besteht demnach seither für die Vertragsstaaten die Möglichkeit der Zwangslizenzerteilung für Arzneimittel zur Produktion für den Export. Staaten mit einer bereits bestehenden Pharmaindustrie können auf diese Weise für andere Staaten, die über keine industrielle pharmazeutische Infrastruktur verfügen, produzieren. Die EU reagierte auf die Doha-Erklärung mit der Verordnung EG Nr. 816/2006. Danach darf entsprechend Art. 31bis Abs. 3 TRIPs die Menge der Arzneimittel, die unter der Zwangslizenz hergestellt werden, nicht über das Maß hinausgehen, das zur Deckung des Bedarfs des einführenden Landes erforderlich ist (Art. 10 Abs. 2 VO (EG) Nr. 816/2006). Dadurch soll im Grundsatz verhindert werden, dass die Arzneimittel aus wirtschaftlichen Gründen in hochpreisige Drittländer weitergeleitet werden (Art. 10 Abs. 4 S. 2 VO (EG) Nr. 816/2006).
4. TRIPs-Waiver
Aufmerksamkeit in der aktuellen Diskussion zieht auch die Möglichkeit des TRIPs-Waivers auf sich. Dabei geht es um den Verzicht auf den internationalen Patentschutz unter TRIPs. Ein entsprechender Antrag (aktuellste Fassung: hier Ursprungsdokument: hier) wurde ursprünglich von Indien und Südafrika initiiert und wird mittlerweile von mehreren Ländern mitgetragen. Folge eines Waivers wäre, dass auf die internationalen Standards durch TRIPs verzichtet würde und damit national der Patentschutz vollständig ausgesetzt werden könnte. Sämtliche Produzenten könnten weltweit Patente nutzen und verwerten, ohne hierfür Lizenzbeiträge zu zahlen oder die ursprünglichen Patentinhaber an den erwirtschafteten Erlösen beteiligen zu müssen. Der Ansatz mag zunächst zielführend erscheinen, um die Verfügbarkeit patentgeschützter Arzneimittel zu erhöhen. Problematisch an der Waiver-Lösung ist jedoch die Struktur des TRIPs-Übereinkommens. Für eine Waiver-Lösung müsste TRIPs grundsätzlich geändert werden und dies ist nach dem Einstimmigkeitsprinzip nur mit einer Zustimmung aller 164 WTO-Mitgliedsstaaten möglich. Mit Blick auf die oben beschriebene lange Dauer zwischen der Doha- Erklärung und dem tatsächlichen Inkrafttreten von Art. 31bis TRIPs zeigt sich, dass eine Waiver-Lösung mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zeitnah umsetzbar ist.
5. Kartellrechtliche Zwangslizenz
Eine weitere Möglichkeit über die rein patentrechtlichen Lösungswege hinaus bietet der Zugriff auf patentgeschützte Erfindungen über die kartellrechtliche Zwangslizenz. Sollte ein Impfstoffhersteller die Schwelle zur Marktbeherrschung überschritten haben, könnte nach den Grundsätzen über den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (Art. 102 AEUV, §§ 18, 19 GWB) eine Zwangslizenz erstritten werden. Derzeit bestehen jedoch allem Anschein nach keine Anzeichen dafür, dass eines der herstellenden Unternehmen über eine derartige Marktmacht verfügt, sodass das Kartellrecht keine Lösungsalternative bietet. Selbst für mRNA-Impfstoffe gibt es zumindest ein Duopol der zugelassenen Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna auf dem europäischen Markt und kein Monopol. Weltweit konkurrieren noch mehr Impfstofferzeuger und zusätzlich sind weitere Anbieter von Vektorimpfstoffen auf dem Markt präsent (zur Marktabgrenzung auf dem Arzneimittelsektor Klaus/Derra PharmR 2020, 115 (124 f.)). Es gibt also aus wirtschaftlicher und therapeutischer Sicht durchaus einen Substitutionswettbewerb und damit ausreichend Ausweichmöglichkeiten bei der Wahl des passenden Impfstoffes.
Viele Wege führen bekanntlich nach Rom. Und daher stellt sich die Frage, welches der beschriebenen rechtlichen Instrumentarien einer Fehldisposition des Patentrechts, wie sie in Pandemiezeiten durch eine Unterversorgung mit Impfstoffen auftreten kann, am besten entgegenwirken kann. Ausgangspunkt der Überlegung, welches Rechtsinstrument das wohl geeignetere Mittel ist, sollte die Frage nach dem größtmöglichen Erfolg bei zeitgleichem geringstem Schaden für den Patentinhaber sein. Für das kartellrechtliche Instrumentarium und die TRIPs-Waiver-Lösung lässt sich bereits keine hinreichende Erfolgsaussicht prognostizieren.
Das ist bei den patentrechtlichen Ansätzen anders, denn sowohl die staatliche Benutzungsanordnung (§ 13 PatG) als auch die Zwangslizenzerteilung (§ 24 PatG) greifen scharf in den Zuweisungsgehalts des Patents als Ausschließlichkeitsrecht, damit aber auch in die verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsfreiheit ein, wodurch dem beabsichtigten Erfolg auch ein „Schaden“ für den Patentinhaber gegenübersteht.
Auf den ersten Blick wirkt es dabei so, dass die patentrechtliche Zwangslizenz nach § 24 PatG lediglich einen partiellen Eingriff darstellt, da durch sie eine Einschränkung nur gegenüber einem Lizenzsucher oder einer kleinen Gruppe von Lizenzsuchern besteht. Die geschäftlichen Interessen des Patentinhabers können dabei freilich ebenso negativ betroffen sein wie bei einer umfassenden Benutzungsanordnung, zumal es gerade im Pharmabereich auf das technische Know how des Lizenzsuchers ankommt, das im Übrigen von § 24 PatG vorausgesetzt wird. Der Lizenzsucher muss das Recht auf Erteilung einer Zwangslizenz allerdings vor dem Bundespatentgericht geltend machen, was wiederum, zumal wenn es zu einer Berufung vor dem BGH kommt, lange Verfahrenszeiten bedeuten würde. Zwar sieht § 85 Abs. 1 PatG vor, dass die Erteilung auch im Wege der einstweiligen Verfügung gestattet werden kann, insbesondere wenn die Erlaubnis im öffentlichen Interesse dringend geboten ist. Dennoch erscheint der gerichtliche Weg über § 24 PatG dem Ziel einer schnellstmöglichen und effektiven flächendeckenden Impfstoffbereitstellung im Wege zu stehen. Nicht jedes Pharmaunternehmen wird zudem freiwillig die Kosten und Mühen einer Zwangslizenzerteilung in Kauf nehmen. Das Geschäftsmodell einer Impfstoffproduktion in einer Pandemie aufgrund einer Zwangslizenz, die im öffentlichen Interesse erstritten wird, wirkt wenig attraktiv und ist überdies risikoreich.
Anders verhält es sich mit der Benutzungsanordnung, von der eine Direktwirkung ausgeht. Unter der Prämisse des schnellen und effektiven Schutzes vor dem Corona-Virus, erscheint die Benutzungsanordnung entgegen einem möglichen ersten Eindruck als das geeignetere Mittel. Die Wirkung der Benutzungsanordnung ist allerdings stark davon abhängig, in welchem Umfang, insbesondere zu Gunsten welcher Benutzer sie ausgesprochen wird. Immerhin steht dem Patentinhaber gemäß § 13 Abs. 3 S. 1 PatG ein Anspruch auf angemessene Vergütung gegen den Bund zu, der gegenüber einem kommerziellen Lizenzsucher, zumindest das Insolvenzrisiko betreffend, wohl der vorzugswürdigere Schuldner ist. Das mag zudem die Bereitschaft dämpfen, gegen eine Benutzungsanordnung gerichtlich vorzugehen, wobei im Vergleich zur Zwangslizenzerteilung von einer kürzeren Verfahrensdauer auszugehen ist, da im Falle der Anordnung durch die Bundesregierung nur eine Überprüfung durch das Bundesverwaltungsgericht offen steht (§ 13 Abs. 2 PatG).
Auf der anderen Seite bleibt bei §§ 13, 24 PatG die „Hemmschwelle“ eines staatlichen Eingriffs in das Recht am Patent. Diese wird durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip abgebildet und muss deshalb besonders ausgeprägt sein, weil die Entscheidung für ein Patentsystem zugleich mit der Zuerkennung von Ausschließlichkeitsrechten verbunden ist, deren nachträgliche Einschränkung aus verfassungsrechtlicher Perspektive einer besonderen Begründung bedarf. Diese Begründungslast wiegt beim „scharfen Schwert“ der Benutzungsanordnung tendenziell sogar noch schwerer als bei der Zwangslizenzierung.
Es zeigt sich, dass der dargestellte Interessenskonflikt mit den de lege lata zur Verfügung stehenden patentrechtlichen Instrumentarien durchaus bewältigt werden kann, wenngleich es keinen Königsweg gibt und wohl auch nicht geben kann, da es stets auf einen Interessenausgleich im Einzelfall ankommt.
Der erfolgreiche Einsatz des Instrumentariums hängt letzten Endes nicht nur von einer rechtsbeständigen Benutzungsanordnung oder Zwangslizenzerteilung ab, sondern auch und möglicherweise gerade von deren praktischer Umsetzung. Dieser Gesichtspunkt spielt im Pharmabereich eine besondere Rolle. So wurde im Zusammenhang mit der Herstellung von COVID 19-Impfstoffen am Anfang der Pandemie immer wieder darauf hingewiesen, dass selbst in einem hoch entwickelten Land wie Deutschland die dafür erforderlichen Produktionsanlagen nicht in dem erforderlichen Umfang vorhanden sind. Das gilt wahrscheinlich umso mehr für Schwellen- und Entwicklungsländer. Auf der anderen Seite zeigen Länder wie Indien, Ägypten und Marokko, aber auch Südafrika, dass es durchaus möglich ist, in solchen Ländern eine Impfstoffproduktion aufzubauen und das Know how zum Betrieb der dafür erforderlichen Anlagen vorzuhalten. Nur bedarf es dazu vermehrter Investitionen, zu denen die notwendigen Anreize gesetzt werden müssen. In Südafrika wurde angesichts seinerzeit stark steigender HIV-Infizierungen zudem ein Gesetz (Medicines and Related Substances Control Amendment Bill) verabschiedet, das die Herstellung (und den Import) günstigerer Generika erlaubte; freilich unter starkem Protest der Arzneimittelindustrie und unter Androhung eines TRIPs-Verletzungsverfahrens seitens der USA (s. auch Claudia Ridder, Die Bedeutung von Zwangslizenzen im Rahmen des TRIPs-Abkommens, 2004, S. 147 f.).
Solange es nicht gelingt, eine zureichende und möglichst wirtschaftlich tragfähige Arzneimittel- und Impfstoffproduktion in Schwellen- und Entwicklungsländern aufzubauen, liegt es auch in der gesellschaftlichen Verantwortung der entwickelten Industrieländer, die Rahmenbedingungen für eine eigene Arzneimittel- und Impfstoffproduktion zu schaffen, die in der Lage ist, nicht nur die Inlandsnachfrage, sondern auch – und sei es unter Rückgriff auf Art. 31bis TRIPs – die Märkte in weniger entwickelten Ländern zu bedienen. Gerade die COVID 19-Pandemie zeigt, dass Pandemien von weltweiter Ausdehnung nur dann erfolgreich bekämpft werden können, wenn es gelingt, den erforderlichen Gesundheitsschutz über Ländergrenzen hinweg zu organisieren.