Patentrecht

Anmerkung zu OLG Düsseldorf
„Infusionsvorrichtung“
(Urt. v. 08.04.2021 – 2 U 41/20)

Ein Beitrag von RA Dr. Benjamin Pesch

Zur Begrenzung der funktionsorientierten Auslegung durch gewürdigten Stand der Technik.

In seiner „Infusionsvorrichtung“-Entscheidung präzisiert das OLG Düsseldorf einmal mehr die Grundsätze der funktionalen Auslegung.

Ⅰ. In einer Entscheidung vom 08.04.2021 (2 U 41/20) hat sich das OLG Düsseldorf zu Grenzen der funktionalen Auslegung geäußert. Gegenstand des Verfahrens war ein Klagepatent, das eine Infusionsvorrichtung, beispielsweise für Diabetiker, zum Gegenstand hatte. Ausweislich des Anspruchs 1 des Klagepatents umfasste die Vorrichtung ein Gehäuse, das eine Ausgangsportanordnung, einen Verteiler, einen Behälter, einen lokalen Prozessor und einen drahtlosen Empfänger beinhaltet. Frei sein soll das Gehäuse nach dem Anspruch von Benutzereingabekomponenten zur Bereitstellung von Flussanweisungen zu dem lokalen Prozessor.

Die vermeintliche Verletzungsform war eine Insulinpumpe, die aus einer Pumpenbasis und einem Einweg-Patch-Behälter bestand. Die Pumpenbasis umfasste den Prozessor und den drahtlosen Empfänger, der Einweg-Patch-Behälter Pumpe und Nadel.

Das LG Düsseldorf entschied in erster Instanz, dass die Verletzungsform nicht von der Lehre des Klagepatents Gebrauch mache. Das Klagepatent setze eine einteilig ausgestaltete, nicht zerstörungsfrei auseinandernehmbare Außenumhüllung, die jedenfalls die Ausgangsportanordnung, den Verteiler, den lokalen Prozessor und den drahtlosen Empfänger beinhalte. Die im Anspruch benannten Vorrichtungsbestandteile müssten in derselben räumlichen Ausgestaltung vorgesehen sein. Für diese Auslegung führte das LG Düsseldorf die Beschreibung an, die mehrfach von „einem“ bzw. „dem“ Gehäuse spreche und zwar an mehreren Stellen eine Mehrteiligkeit im Innern der Vorrichtung thematisiere, aber eben nicht hinsichtlich des Gehäuses. Aus funktionaler Sicht ergebe sich das Erfordernis der Einteiligkeit des Gehäuses daraus, dass die Außenfläche des Gehäuses glatt und einfach zu reinigen und ein Einweg- bzw. Wegwerfartikel sein solle. Im Übrigen enthielte die Patentbeschreibung keine Aussage, wie die Vorrichtungsbestandteile auf mehrere Gehäuseteile zu verteilen sein sollten. Schließlich habe die Klägerin im Erteilungsverfahren zwecks Abgrenzung vom Stand der Technik Aussagen in Richtung einer Einteiligkeit des Gehäuses getroffen.

Ⅱ. Das OLG Düsseldorf verneinte ebenfalls eine Verletzung, gelangte zu dieser Feststellung allerdings über einen anderen Begründungsansatz. Im Ergebnis umfasse die Lehre des Klagepatents nur solche Ausgestaltungen, bei denen alle Komponenten in einer einheitlichen, nicht aus mehreren einzelnen Gehäuseteilen zusammengesetzten Umhüllung untergebracht seien.

Im Gegensatz zum LG Düsseldorf stellte das OLG allerdings fest:

„Wendet man die üblichen Regeln der Patentauslegung an, so besteht zwar noch kein Anlass für die Annahme, dass das Gehäuse der Insulinpumpe unbedingt einteilig sein muss und nicht – wie bei der angegriffenen Ausführungsform – mehrteilig sein kann.“

Nach Auffassung des OLG Düsseldorf gab der Wortlaut des Anspruchs keinen Anhaltspunkt dahingehend, dass das Gehäuse einteilig ausgebildet sein müsse. Er gebe lediglich vor, dass das Gehäuse die benannten Komponenten umfassen und frei von Benutzereingabekomponenten sein müsse.

Funktional betrachtet ziele die Lehre des Klagepatents darauf ab, die Größe, Komplexität und die Kosten einer Infusionsvorrichtung zu verringern und diese in Form eines Einwegprodukts bereitzustellen. Zudem solle die Vorrichtung glatte Oberflächen aufweisen, um die Reinigung zu erleichtern und Angriffsflächen zu vermeiden. Das Klagepatent beschreibe diese Aspekte allerdings lediglich als Vorteile der Erfindung, ohne dass diese unmittelbar im Anspruch Niederschlag gefunden hätten. Der Anspruch schweige dazu, wie die Lehre den Einweg-Charakter bewerkstellige. Bzgl. der glatten Oberfläche gebe der Anspruch nur vor, dass das Gehäuse frei von Benutzereingabekomponenten sein solle, woraus sich allerdings nicht eine allgemeine Folge ableiten lassen könne, dass Nähte im Gehäuse zu vermeiden seien. Schließlich sehe das Klagepatent selbst bspw. in Fig. 7 eine lösbare Batterietür vor.

Im Ergebnis spreche die Auslegung daher zunächst dafür, dass auch ein mehrteiliges Gehäuse anspruchsgemäß sei.

Das OLG Düsseldorf verweist dann allerdings auf den zitierten Stand der Technik. Zwischen den Parteien sei im Einspruchsverfahren unstreitig, dass der zitierte Stand der Technik sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 aufweise. Nach Auffassung des OLG Düsseldorf liege der einzige Unterschied darin, dass der Stand der Technik eine zweiteilige Anordnung vorsehe, deren oberer Teil den Prozessor, den Empfänger und die Pumpe und deren unterer Teil den Insulinbehälter und die Injektionsnadel aufnehme. Dieser Umstand sei bei der Auslegung des Anspruchs zu berücksichtigen. Ein Verstoß gegen den Grundsatz, dass ein Patent nicht danach interpretiert werden dürfe, was sich als rechtsbeständig darstelle, liege nicht vor, da es nicht um die Vorwegnahme von Rechtsbestandseinwänden, sondern um die Identifikation der Lehre gehe, die erteilt worden sei.

Schließlich gelangt das OLG Düsseldorf zu dem Schluss:

„Aus dem Schutzbereich haben deswegen – ungeachtet ihrer technisch-funktionalen Brauchbarkeit für die Zwecke der Erfindung – solche Ausführungsformen auszuscheiden, die sich nur dann unter den Wortsinn des Patentanspruchs subsumieren lassen, wenn ein Begriffsverständnis zugrunde gelegt wird, bei dem die erteilte Anspruchsfassung durch den in der Patentschrift gewürdigten Stand der Technik neuheitsschädlich getroffen wäre.“

Ⅲ. Die funktionale Auslegung ist ein elementarer Bestandteil der Auslegung von Patentansprüchen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist für die Auslegung eines Patents nicht die sprachliche oder logisch-wissenschaftliche Bedeutung der im Patentanspruch verwendeten Begriffe maßgeblich, sondern deren technischer Sinn, der unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung, wie sie sich objektiv aus dem Patent ergeben, zu bestimmen ist. Maßgeblich sind dabei der Sinngehalt eines Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der patentierten Erfindung beitragen. Aus der Funktion der einzelnen Merkmale im Kontext des Patentanspruchs ist abzuleiten, welches technische Problem diese Merkmale für sich und in ihrer Gesamtheit tatsächlich lösen (BGH GRUR 2016, 169 ff. – Luftkappensystem).

Hinlänglich bekannt ist der Umstand, dass die funktionale Auslegung des Anspruchs bei räumlich-körperlich definierten Merkmalen nicht dazu führen darf, dass ihr Inhalt auf die bloße Funktion reduziert und das Merkmal in einem Sinne interpretiert wird, der mit der räumlich-körperlichen Ausgestaltung, wie sie dem Merkmal eigen ist, nicht mehr in Übereinstimmung steht (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2014, 185 – WC-Sitzgelenk).

Mit der vorliegenden Entscheidung ergänzt das OLG Düsseldorf diese Rechtsprechung dahingehend, dass die funktionale Auslegung des Anspruchs weiterhin nicht dazu führen darf, dass der Anspruch Ausführungsformen aus dem Stand der Technik erfasst, die der Neuheit der Lehre entgegen stehen.

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Dr. Benjamin Pesch ist Rechtsanwalt in der Sozietät KATHER AUGENSTEIN Rechtsanwälte in Düsseldorf, einer auf streitige Auseinandersetzungen für Gewerblichen Rechtsschutz spezialisierten Boutique-Kanzlei. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt in der Beratung nationaler und internationaler Unternehmen unterschiedlichster Industriezweige im Bereich des Patent- und Gebrauchsmusterrechts.

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